Zusammenhang zwischen Potenzial und Leistung

In der Beratungsstelle gehen wir von einem ganzheitlichen Begabungsbegriff aus, wie er im Münchner Hochbegabungsmodell von Heller (2001) beschrieben wurde (weitere Informationen hier). Darin wird deutlich, dass bei der Umsetzung von Begabung in Leistung neben dem kognitiven Potenzial sowohl nicht-kognitive Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Leistungsmotivation, Interessen, Arbeitsverhalten, Stressbewältigung) als auch Umweltmerkmale (z. B. Schul- und Klassenklima,  Familienklima, kritische Lebensereignisse) eine wichtige Rolle spielen.

 

Abbildung in Anlehnung an Fischer (2008) und Heller (1992/2001); Grafik: BzB

 

Wenn diese Faktoren ungünstig zusammen wirken, kann es vorkommen, dass Schüler/innen trotz eines sehr hohen kognitiven Potenzials nur schlechte Schulleistungen aufweisen. Man spricht dann von sogenannten Minderleister/innen (Underachiever). Im umgekehrten Fall können Hochleister/innen (Overachiever) aufgrund günstiger Persönlichkeits- und Umweltmerkmale (wie bspw. ein hohes Leistungsstreben plus ein förderliches Lernumfeld) bessere Leistungen erbringen als aufgrund ihres Potenzials zu erwarten wäre. Sie nutzen ihr Potenzial demnach voll aus.

In beiden Fällen hätte die Gleichsetzung von Begabung und Leistung ohne die differenzierte Berücksichtigung möglicher beeinflussender Variablen fatale Auswirkungen. So könnten Auffälligkeiten bei der feinmotorischen Koordination, eine schlechte Handschrift oder eine langsame Verschriftlichung einerseits auf Lese-Rechtschreibschwierigkeiten oder eine Lernstörung hindeuten. Andererseits sind sie möglicherweise aber auch Ausdruck für spezifische Persönlichkeitsmerkmale (z. B. hoher Perfektionismus) oder ein Hinweis für eine Asynchronizität der Entwicklung (z. B. Kopf ist schneller als die Hand) besonders begabter Kinder.   

Auch lassen sich Lernschwierigkeiten bzw. Teilleistungsstörungen wie z. B. LRS bei besonders begabten Kindern und Jugendlichen nicht immer oder nicht frühzeitig erkennen. Denn diese Kinder und Jugendlichen sind in der Lage, durch ihr hohes intellektuelles Potenzial mögliche Einschränkungen bis zu einem gewissen Punkt zu kompensieren. So treten damit verbundene Leistungseinbußen bei Lernenden mit hoher Begabung nicht oder erst später zutage, als dies bei durchschnittlich begabten Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten der Fall ist.

Diskrepanzen zwischen Potenzial und Leistung sind in der Regel multifaktoriell bedingt, d. h. mehrere Ursachen spielen hier zusammen. Es sollte daher bei Verdacht auf Minderleistung immer eine individuelle Diagnostik erfolgen, um für das Kind bzw. für den/die Jugendliche/n geeignete Hilfen und Fördermöglichkeiten ableiten zu können.

 


Zur Diskrepanz zwischen Potenzial und Leistung finden Sie hier das Fallbeispiel Anna – Begleitung im Übergang von der Oberschule zum Gymnasium aus der Handreichung "Jeder zählt - Begabungs- und Begabtenförderung in Sachsen" (Herausgeber: Sächsisches Staatsministerium für Kultus, 2016).


Literatur:

  • Fischer, C. (2008). Lernstrategien in der Begabungsförderung. news&science. Bega-bungsförderung und Begabungsforschung, 19 (2), 31–34.
  • Heller, K. (Hrsg.)(1992). Hochbegabung im Kindes- und Jugendalter. Göttingen: Hogrefe (2., überarb. Aufl. 2001).
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